Parmigianino und die bella maniera

 

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Parmigianono, Madonna dal collo lungo, Florenz, Uffizien, begonnen 1534, unvollendet.

Später sagte man, daß der Geist Raffaels in den Körper Francescos [Parmigianinos] übergegangen sei, da man sah, daß dieser junge Mann in der Kunst außergewöhnlich, in den Umgangsformen so höflich und anmutig wie Raffael war, und, was noch höher wiegt, weil man hörte, wie sehr er sich bemühte, ihn in allen Dingen, vor allem aber in der Malerei, nachzuahmen.“ (Vasari 2004, S.21).

So klingt das höchste Lob, das Giorgio Vasari (1511-1574) in seiner Vita über Francesco Mazzola (1503-1540), genannt Parmigianino, aus Parma schreibt. Während Vasari dem Künstler Parmigianino in der ersten Ausgabe der Vita (‚Le vite dei più eccellenti architetti, pittori et scultori italiani‘ 1550) noch die grazia zuspricht, wandelt er diesen Begriff in der zweiten Ausgabe der Viten von 1568 in die venustà. Diese Begriffe meinen beide eine die Natur übersteigernde Vollkommenheit, jedoch bezieht sich die venustà bei Vasari lediglich auf die ästhetische Vollkommenheit der Kunst. Die Werke Parmigianinos zeichnet laut Vasari eine Anmut (venustà), Lieblichkeit (leggiadria) und Zartheit (dolcezza) der Figuren aus, die Vasari zur positiven Bewertung der Werke Parmigianinos veranlasst (Vgl. Einleitung von M. Burioni, in: Vasari 2004, S. 9). Im Gegensatz dazu stößt Parmigianinos Interesse für experimentelle Methoden und handwerkliche Künste bei Vasari auf Missfallen und Unverständnis, da dies nicht seinen Vorstellungen des idealen Künstlerbilds entspricht. In diesem Zuge entstand vermutlich die Erfindung von Vasaris Seiten, dass Parmigianino sich für die Alchemie interessiere und der selbigen verfallen sei (Vgl. Kommentar von M. Burioni, Vasari 2004, S. 42).

Nichtsdestotrotz spricht sich Vasari wegen der Anmut, der Lieblichkeit und der Zärtlichkeit der Figuren und dem schönen Stil, der bella maniera, für die Werke Parmigianinos aus und lässt an diesen keine Kritik erkennen. Dies erscheint mit dem Blick von heute ungewöhnlich, da zum Beispiel Parmigianinos Werk „Madonna dal collo lungo“ (Florenz, Uffizien, begonnen 1534, nicht vollendet) nicht den festgelegten Qualitäten Vasaris – Regel, Ordnung, Proportion, disegno und Stil – entspricht, die Vasari allen Künstlern der maniera moderna anerkennt. Gerade die bella maniera ergibt sich aus der Perfektionierung der anderen vier Qualitäten, doch kann man in diesem Gemälde mit einer Madonnenfigur, die überlängte Gliedmaßen aufzeigt, tatsächlich  von einem ‚schönen Stil‘ reden?

Wäre es möglich, dass es sich hierbei um eine „Freiheit von der Regel“ handelt, von der Vasari in der Vorrede zum dritten Teil der Viten spricht, die den Vertretern der seconda maniera noch fehlte? (Vasari , Proemio della terza parte (1568), S. 110).

Eine weitere Fragestellung, die im Seminar behandelt werden soll thematisiert die Rolle der Zeichnung im Bildfindungsprozess. Martin Warnke schreibt in seinem Aufsatz „Der Kopf in der Hand“ über die wandelnde Funktion der Zeichnung von einer den Vorbildern und der Natur verpflichteten Nachzeichnung zu einem autonomen Zeugnis schöpferischer Phantasie (Warnke 1987, S. 59-61). Könnte die Zeichnung auch als unterstützendes Medium für die Entwicklung von neuen, eigenständigen und vielleicht sogar eigentümlichen Erfindungen dienen? Für das Werk „Madonna dal collo lungo“ sind etliche Studien Parmigianinos bekannt, in denen Anhaltspunkte zu finden sind, die diese Überlegung bestärken könnten (Vgl. Maurer 2001, S.26-42).

Für die Vorbereitung der Sitzung am 12.05.2016 sind folgende Texte zu lesen:

  • WARNKE, Martin, Der Kopf in der Hand, in: HOFMANN, Werner (Hrsg.), Zauber der Medusa. Europäische Manierismen, Wien 1987, S. 55-61.
  • MAURER, Emil, Manierismus. Figura serpentinata und andere Figurenideale, Zürich 2001, S. 26-42.

Weiterführende Literatur:

  • EKSERDJIAN, David, Parmigianino, New Haven 2006.
  • PREIMESBERGER,  Rudolf, Giorgio Vasari: Ursprungslegende eines Selbstporträts (1550), in: Ders., BAADER, Hannah, SUTHOR, Nicola (Hgg.), Porträt. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Bd.2, Berlin 1999, S. 262-272.
  • SHEARMAN, John, Manierismus. Das Künstliche in der Kunst, Frankfurt a.M. 1988 (engl. Originalausgabe: ders., Mannerism, Baltimore 1967).
  • Vasari, Giorgio, Das Leben des Parmigianino, hrsg. v. BURIONI, Matteo, Berlin 2004.
  • VASARI, Giorgio, Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler, hrsg. v. BURIONI, Matteo, FESER, Sabine, 3. Aufl., Berlin 2010.
  • Wiki zu den Schlüsselbegriffen der Kunstliteratur, Kunstgeschichtliches Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2011-2013 (Online-Ressource 09.05.2016).

 

 

Parmigianino und die bella maniera

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