Capriccio

jacopo_pontormo_-_kreuzabnahme_christi
Jacopo da Pontormo, Die Überführung Christi, 1525-1528, Öl auf Holz, 313 x 192 cm, Florenz, Santa Felicita.

Die Etymologie des Substantivs zeigt, dass es sich nicht ausschließlich um einen Begriff der Kunsttheorie handelt. Der Begriff findet sich beispielsweise in den Kommentaren der Divina Commedia von Dante Alighieri (1265-1321). Hier wird es als Kompositum, das sich aus „capo“ (Kopf) und „ricco“ (Igel) zusammensetzt und einen haarsträubenden Angstzustand bezeichnet, verstanden. (Vgl. Kanz 2002, S. 31)
Des Weiteren wurde der Begriff in der Vergangenheit auch als Gedankensprung oder „Ziegenbocksprung des Geistes“ interpretiert, mit der Begründung, dass der Wortstamm von Capriccio ebenso gut von „capra“ Ziege abgeleitet werden kann. (Vgl. Kanz 2002, S. 11)

Als Begriff der Kunsttheorie taucht Capriccio erstmals bei dem Kunsttheoretiker Giorgio Vasari (1511-1574) auf, der es aus dem Bereich der Burleske in die Kunsttheorie einführt. Vasari beschreibt mit diesem Begriff „den eigenwilligen, oft verrückten Einfall des Künstlers“ ebenso wie „die Originalität und den spielerischen Umgang mit der Phantasie“; Begriffe wie „ghiribizzo“ (schrullig), „invenzione“ (Erfindung), „fantasia“ (Phantasie), „giudizio“ (Urteilskraft) und „bizzarie“ (eigenartig) stehen in enger Verwandtschaft mit dem Begriff Capriccio. (Vgl. Feser, in: Giorgio Vasari. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 2010, S. 218)


Capriccio ist bei Vasari zumeist als positive Beschreibung für künstlerische Einfälle zu verstehen, dabei legt er jedoch großen Wert darauf, dass jeder Einfall stets vom „guidizio“ (künstlerischem Urteil) kontrolliert werden muss, denn nur jene künstlerischen Einfälle, die nicht ausufern und auf Kosten des Studiums und des disegno geschehen, werden als lobenswert betrachtet. (Vgl. Busch, in: Kunstform Capriccio: von der Groteske zur Spieltheorie der Moderne, 1998, S. 55-56)

Der zeitgenössische Kunsthistoriker Werner Busch beschreibt die Eigenschaften des Capriccio in seinem Artikel Das Capriccio und die Erweiterung der Wirklichkeit wie folgt: „Alles Manieristische, Übersteigerte, forciert Subjektive, Irreguläre, kurz alles Antiklassische ist capriccioartig sofern, als der Verstoß gegen die Regeln im Namen freier Phantasie- und Kunstentfaltung geschieht.“ (Vgl. Busch 1998, S. 54)

Als Schlüsselbegriff der Maniera Moderna entfacht das Capriccio den Diskurs der „licenzia“ (der künstlerischen Freiheit), welche sich von der Nachahmung der Natur entfernt; die Kunst des Capriccio, welche sich durch den kreativen und originellen Umgang mit traditionellen Bilddarstellungen auszeichnet, bewegt sich demnach immer zwischen der Regel und der Regellosigkeit. ( Vgl. Kanz 2002, S. 12-14)
Obwohl der Höhepunkt der Kunstgeschichte stets bei Leonardo, Michelangelo und Raffael verortet wird, welche nicht zuletzt dank Vasari zum heroischen Dreigestirn wurden, sind einige der faszinierendsten künstlerischen Arbeiten erst in den beiden nachfolgenden Künstlergenerationen entstanden, welche in den gebildeten Kreisen des 16. Jahrhunderts hoch geschätzt wurden. Diese oft bizarr und kapriziös anmutenden künstlerischen Leistungen bauen auf den Errungenschaften der Hochrenaissance auf und sollen bei unserem Diskurs über das Capriccio im Zentrum der Betrachtung stehen. (Vgl. Hollein 2016, in: Maniera, 2016, S. 11)
Künstler wie beispielsweise Bronzino, Parmigianino, Vasari und Jacopo da Pontormo waren Teil dieser nachfolgenden Künstlergeneration.
Jacopo da Pontormo (1494-1557), der zahlreiche Aufträge der Medici erhielt, gilt als ein Hauptvertreter des Manierismus. Das negative Charakterbild, welches Giorgio Vasari von Pontormo gezeichnet hat, hatte zur Folge, dass er in der Zeit nach seinem Ableben zunehmend in Vergessenheit geriet und ein pathologisches Bild blieb, das noch bis ins 20. Jahrhundert anhielt; so schreiben die Kunsthistoriker Rudolf und Margot Wittkower (1963): „Zweifellos waren Künstler wie Piero di Cosimo und Pontormo tief gestörte Naturen, möglicherweise klinische Fälle, Neurotiker […].“ (Vgl. Wittkower 1965, S. 69)
Vasari hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu Pontormo, das sich einerseits durch Bewunderung, anderseits durch Neid und fehlendes Verständnis für seine Lebensweise formte. Diese Ambivalenz zeigt sich sowohl in der Vita, welche Vasari über Pontormo schrieb, als auch in der Vorrede zum dritten Teil, in welcher Vasari bei der Aufzählung der wichtigsten Protagonisten der Maniera Moderna auf den Namen Pontormo verzichtete. (Vgl. Vasari 2010 und Vasari 2011)

Innerhalb des Seminars soll der Begriff des Capriccios ausführlich betrachtet werden. Hierfür sollen die Etymologie, die Verwandtschaft zu anderen Begriffen sowie die unterschiedliche Verwendung des Begriffes bei Vasari angeschaut und diskutiert werden. Die Vita des Künstlers Jacopo da Pontormo und sein Werk soll hierbei im Fokus stehen. Der eigenwillige Umgang Pontormos mit tradierten Bilddarstellungen, wie es am Altarbild „Die Überführung Christi“ (1525-1528) in der Kapelle der Florentiner Kirche Santa Felicita erkenntlich wird, soll im Zentrum der Betrachtung stehen.

Zur Vorbereitung auf die Sitzung am 12.05.2016 ist folgender Text zu lesen (auf Ilias gestellt):

  • KANZ, Roland, Die Kunst des Capriccio: Kreativer Eigensinn in Renaissance und Barock, München u.a. 2002, S. 17- 30.

Weiterführende Literatur:

  • Ausst. Kat. Frankfurt a.M.: Maniera, ECLERCY, Bastian (Hg.), Städel Museum, München u.a. 2016.
  • BUSCH, Werner, Das Capriccio und die Erweiterte Wirklichkeit, in: MAI, Ekkehard, Kunstform Capriccio: Von der Groteske zur Spieltheorie der Moderne, Köln 1998.
  • HOFMANN, Werner, Das Capriccio als Kunstprinzip. In: Mai, Ekkhard REES, Joachim. (hg.): Das Capriccio als Kunstprinzip. Zur Vorgeschichte der Moderne von Arcimboldo und Callot bis Tiepolo und Goya: Malerei – Zeichnung – Graphik, Mailand u.a. 1996.
  • SHEARMAN, John, Manierismus. Das Künstliche in der Kunst [England 1967], Frankfurt a.M. 1988.
  • WITTKOWER, Rudolf u. Margot, Künstler Außenseiter der Gesellschaft [London 1963], Stuttgart u.a. 1965.
  • WÖLFEL, Kurt, Capriccio, In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 7, Stuttgart 2010.
  • VASARI, Giorgio, Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler, 3. erw. und überarb. Aufl., Berlin 2010.
  • VASARI, Giorgio, Das Leben des Pontormo [Berlin 2004] 2. durchges. und aktual. Aufl., Berlin 2011.
  • https://wiki.uni-freiburg.de/ida-kunstlit/doku.php?id=glossar:capriccio

 

 

Capriccio

Ein Gedanke zu “Capriccio

  1. Beiträge von Autoren in Sammelbänden oder Katalogen würde ich der Vollständigkeit halber auch noch unten in der Literaturliste aufführen. Dazu gehören die Einleitung von Sabine Feser in „Kunstgeschichte und Kunsttheorie“ und auch der Katalogbeitrag von Max Hollein (hier weiß man beispielsweise ja gar nicht ob du aus dem Vorwort oder einem Aufsatz zitierst)

    Like

Hinterlasse einen Kommentar